Shooter am C64: Kaum noch Luft nach oben

Spiele-Reviews: Zeta Wing und Soul Force

Mit Soul Force und Zeta Wing hat Sarah Jane Avory zwei ambitionierte Shoot ’em Ups veröffentlicht. Wir gehen der Frage nach, ob der Commodore 64 wirklich noch mehr Vertreter dieses Genres braucht.

von Georg Fuchs

Am Beispiel des Shooter-Genres lässt sich die Evolution der Spiele auf dem Commodore 64 gut nachvollziehen, da diese Spielegattung von Anfang an vertreten war und bis heute gepflegt wird, wie die hier vorgestellten Titel zeigen. Aus simplen, ruckelnden Ballereien in Blocksatz-Optik wurden technisch immer anspruchsvollere Software-Kunstwerke, welche die Grenzen der Hardware immer weiter ausloteten.

Klassische Weltraum-Shooter mit Raumschiffen, die die entweder horizontal oder vertikal scrollenden Levels durchqueren, folgen einer alten, aber bewährten Formel. Typische Spielelemente sind festgelegte Angriffsformationen, Hindernisse, denen man ausweichen muss, große Levelbosse und Upgrades des Raumschiffs. Diese Elemente sind beinahe so alt wie das Genre selbst und tauchen auch bei fast allen C64-Shootern auf.

Technische Perfektion alleine ist zu wenig, um einen Shooter-Hit zu erschaffen. Die C64-Fassung von Nemesis (Gradius) aus dem Jahr 1986 flackert und hat technische Schwächen, ist aber durchaus unterhaltsam, ohne dem Spielhallen-Original allzu nahe zu kommen. Das im Jahr darauf veröffentlichte Leviathan, ein in isometrischer Pseudo-3D-Perspektive scrollendes Spiel mit eleganten Grafik- und Soundeffekten, war trotz interessanter Technik ein Spiel, das man schnell zur Seite legte. Grafisches Vorbild war Zaxxon, dessen C64-Version aus dem Jahr 1984 stammt, das Arcade-Original wurde 1982 von Sega veröffentlicht.

Was einen guten Shooter wirklich ausmacht, lässt sich nicht in Scrolling-Routinen und anderen technischen Details messen. Wie schnell reagiert das Raumschiff auf die Signale des Joysticks? Klingen die Schüsse der Bordwaffen gut oder nerven sie? Sind die Angriffsformationen interessant oder wiederholen sie sich ständig? Kommt man in einen Spielfluss? Ist der Schwierigkeitsgrad fair? Nur wenn all diese Aspekte mehr oder weniger stimmen, kann sich ein Titel aus der unüberschaubaren Masse abheben.

Die Vergangenheit…

Viele der bekannteren C64-Shmups sind Umsetzungen großer Hits aus der Spielhalle, daneben gibt es aber sehr viele exklusive C64-Titel, die in der Veröffentlichungsflut der 80er-Jahre oft kaum wahrgenommen wurden. Titel, die Spuren hinterlassen haben, sind unter anderem Lightforce, dessen Rob-Hubbard-Musik den eher monotonen Ablauf übertönte; Sanxion mit seiner untypischen Prokofjew-Musik und einem geteilten Bildschirm, der das Spielgeschehen zugleich von der Seite und aus Vogelperspektive zeigt; Armalyte, eines der schönsten C64-Shmups, das auch höchstes spielerisches Niveau repräsentiert; Uridium, ein komplexer, ultraschwerer Shooter mit vom üblichen Schema abweichenden Elementen, der einen ganz neuen Standard bei Explosions-Animationen gesetzt hat; das fast unschaffbare Delta, das einen der besten Ingame-Soundtracks auf dem C64 bietet, für den Rob Hubbard Elemente von The Dark Side of the Moon und Koyaanisqatsi zu einem neunminütigen SID-Monster vermengte; IO mit fantastischer Grafik, elegantem Design und sehr hohem Schwierigkeitsgrad.

Katakis aus dem Hause Rainbow Arts war dem Arcade-Klassiker R-Type so ähnlich, dass Manfred Trenz & Co. diesen Titel auch gleich portieren mussten, um Probleme mit Rechteinhaber Irem zu vermeiden. Für mich war es allerdings über all die Jahre der gelungenste C64-Weltraumshooter, das Ballerspiel schlechthin, an dem sich alle anderen messen lassen mussten. Eine speicherbare Highscore-Liste war damals reiner Luxus, die Levels waren groß, das Raumschiff hatte imposante Upgrades, die Levelbosse waren furchteinflößend. Und die Musik von Chris Hülsbeck gehört zu den allerbesten C64-Soundtracks. Neben einem Zwei-Spieler-Modus, bei dem man sich abwechselnd durch die Levels kämpfen konnte, gab es auch einen Koop-Modus, bei dem ein Spieler den Satelliten des Raumschiffs steuerte. Über Farbfehler und gar nicht so wenige Bugs habe ich dafür hinweggesehen.

Einen Sonderfall stellt das 2006 von Protovision veröffentlichte Metal Dust von Stefan Gutsch und Chester Kollschen dar. Es stellt technisch alles in den Schatten, was je auf dem C64 veröffentlicht wurde, bietet riesige Levels und nicht weniger als sieben Waffensysteme. Musikalisch umrahmt wird das Spiel von einem Soundtrack der Band Welle: Erdball mit jeweils über 1000 Blocks Digi-Sounds in jedem der vier Levels, in denen verschiedene übergroße Gegner ins Rennen geschickt werden. Auch High-Speed-Passagen werden in jedem Level geboten. Allerdings wird das Spiel hier außer Konkurrenz erwähnt, da es nur mit SuperCPU und SuperRAM-Karte (mindestens 4 MB) läuft.

Grafisch herausragend präsentierte sich in einer Preview-Fassung Born in Space (1994) von Cosmos Designs, das allerdings nie fertiggestellt wurde und nur in einer Preview-Fassung bewundert werden kann.

…und die Zukunft?

Außerhalb der 8-Bit-Welt entwickelte sich das Genre weiter. Seit den frühen 90er-Jahren sorgte das Danmaku-Untergenre („Sperrfeuer“), auch „Bullet Hell“ genannt, für Furore. Bei diesen Spielen geht es in erster Linie darum, einem unaufhörlichen Kugelregen auszuweichen, was auf C64-Hardware kaum befriedigend umgesetzt werden kann.

Doch wer sagt, dass nicht auch nach bewährter, klassischer Shooter-Rezeptur noch Spielehits entstehen können? In den letzten Jahren ist vor allem der Name Sarah Jane Avory mit dem Shooter-Genre auf dem C64 verbunden. Doch wer ist Sarah Jane Avory? Die britische Programmiererin schuf in den 1990er-Jahren Spiele wie Thunderhawk, Jaguar XJ220, Combo Racer, Gemini Wing, Fighting Force, und Soul Star für Plattformen wie Amiga, Atari ST, Atari Jaguar-CD (!), Sega Mega CD, Sega 32X, Sega Saturn, PS1 und PS2. Heute schreibt sie in ihrer Freizeit C64-Spiele.

Ihr vertikaler Shooter Neutron (kurz vorgestellt in Lotek64 #61) erhielt den Gamers‘ Choice Award von Retro Gamer Nation (RGN) als bestes C64-Spiel des Jahres 2019. Entwickelt wurde es für eine 16-kB-Modul-Compo. Rückblickend wirkt es wie eine erste Fingerübung für Zeta Wing.

Preisgekrönt: Zeta Wing

Zeta Wing wurde im September 2020 von Sarah Jane Avory, die Mitglied im Protovision-Team ist, veröffentlicht und kann nur in digitaler Form erworben werden. Das Spiel ist, so wie Neutron, ein vertikaler Shooter, aber technisch ausgereifter und umfangreicher. Inspiriert wurde es vom Arcade-Klassiker Gemini Wing (Tecmo, 1987). Wie der Vorgänger Neutron wurde Zeta Wing mit dem RGN Gamers‘ Choice Award 2020 ausgezeichnet, Indie Retro News wählte es zum Budget-Titel des Jahres 2020.

Die Hintergrundgeschichte erzählt von seltsamen Mutanten, die sich auf der Erde ausgebreitet haben, sowie von einem wagemutigen Raumschiffpiloten, der sich ihnen in den Weg stellt – und das ist glücklicherweise bereits die Langfassung.

Viel interessanter als die Story sind die spielerischen und technischen Details: Zeta Wing umfasst sieben grafisch abwechslungsreiche Levels, die dank Parallax-Scrolling und verschiedener Level-Bosse auch technisch imponieren. Damit für Anfänger und Profis gleichermaßen etwas geboten wird, können drei Schwierigkeitsgrade gewählt werden. Die Bewaffnung kann mit zehn Upgrades verbessert werden, von denen bei Verlust eines Lebens nur das zuletzt erworbene verloren geht. Eine Dauerfeuer-Funktion ist im Menü wählbar.

Nach dem Start ertönt eine sehr nette Titelmusik, die gar nicht martialisch klingt, aber schon auf das rasante Spielgeschehen einstimmt, das im ersten Level noch nicht allzu herausfordernd ist. In Level 2 gibt es eine neue Melodie und es geht sofort viel hektischer zur Sache. Gegner und Formationen erfordern auch im einfachsten Schwierigkeitsgrad ständige Aufmerksamkeit, da man nun gezieltem Feuer ausgesetzt ist und der Gleiter ständig bewegt werden muss, um nicht einen – immer sofort tödlichen – Treffer abzubekommen.

Wird eine ganze Formation ausgelöscht, erscheint ein „P“-Symbol auf dem Bildschirm. Wenn 12 davon eingesammelt werden, gibt es ein Waffen-Upgrade. „Z“- und „W“-Sprites können für zusätzliche Punkte abgeschossen werden – alle 50.000 Punkte spendiert das Spiel ein Extraleben.

Das Spiel bietet nichts, was man nicht schon in Spielen wie Lightforce, Terra Cresta und anderen vertikalen Shootern gesehen hat. Aber das Gebotene ist hervorragend und ansprechend umgesetzt, vor allem der Spielfluss von Zeta Wing ragt aus der Masse heraus. Die hohe Geschwindigkeit und die freundlich-verspielte Atmosphäre, die das Spiel trotz der actionreichen Handlung ausstrahlt, verleihen dem Shooter schon nach dem ersten Ausprobieren ein hohes Suchtpotenzial. Bei Zeta Wing gerät man durch den Rhythmus von Ausweich- und Angriffsmanövern schnell in einen Flow, den man sonst nur von Arcade-Automaten kennt.

Soul Force, der neue Shooter-Maßstab?

Zeta Wing ist ein beeindruckendes Spiel, bewegt sich aber im üblichen Rahmen eines C64-Shooters. Wer in eine neue Dimension vordringen möchte, wird bei Sarah Jane Avorys nächstem Streich fündig (und ein paar Euros mehr los): Soul Force wurde für die Veröffentlichung auf einem 512-kB-Modul entwickelt, weshalb nicht auf die Limitierungen des Diskettenformates Rücksicht genommen werden musste. Müssten alle Level-Screens und Zwischensequenzen von Diskette nachgeladen werden, wäre das dem Spielfluss sehr abträglich, oder man müsste auf diese atmosphärischen Elemente verzichten.

Die Handlung ist, wie bei Shmups üblich, schnell erklärt: Das Sonnensystem Soultron wird nach einer langen Phase des Friedens überraschend von einer außerirdischen Streitmacht überfallen, die mit einer biomechanischen Flotte die friedlichen Planeten überfallen möchte. Glücklicherweise wurde in Friedenszeiten das Projekt Soul Force ins Leben gerufen und ein kleiner, wendiger Raumgleiter entwickelt, um Gefahren aus dem Weltraum abzuwehren.

Alle Levels beginnen mit einem kleinen Intro, in dem die Geschichte der Eroberung des Planeten weitergesponnen wird, und einem Bild, das atmosphärisch auf die nächste Stufe einstimmt. Dieser Aufwand ist ungewöhnlich für ein C64-Spiel, auf Diskette würde sich das in langen Ladezeiten niederschlagen. Soul Force gibt es nur auf Modul und kann sich daher einen so opulenten Auftritt leisten.

Die Levels haben verschiedene Settings: In manchen fliegt man durch den freien Raum, in anderen in Höhlensystemen und sogar unter Wasser. Die 20 (!) Levels sind nicht allzu lang, was das Spiel allerdings nicht einfacher macht, da es so viele davon zu bewältigen gilt. Da alle Levels über eigene Introsequenzen, Titelbilder, Musikstücke und Levelbosse verfügen, ist Soul Force das umfangreichste und größte Shoot ‘em Up, das je für den Commodore 64 geschrieben wurde.

Der Spielfortschritt wird auf dem Modul automatisch gespeichert. Darüber hinaus gibt es nach jeder abgeschlossenen Spielstufe Level-Passwörter sowie die Möglichkeit, den Spielstand auf Diskette zu sichern. Über die beiden zuletzt genannten Möglichkeiten werden sich vor allem Käufer der digitalen Version freuen.

Der Spielverlauf ist schnell zusammengefasst: Unser Raumschiff fliegt durch horizontal scrollende, schön gepixelte Landschaften, die optisch viel Abwechslung bieten. Bei den Hintergründen gibt es mehrstufiges Parallax-Scrolling, was bei C64-Shootern schon bei frühen Spielen üblich war. Meist wurde jedoch nur eine Ebene mit Sternen im Hintergrund in einer anderen Geschwindigkeit als der Vordergrund bewegt, um eine Tiefenwirkung zu erzeugen. In Soul Force gibt es fast immer mehrstufig scrollende Hintergründe, was angesichts der zahlreichen Sprites, die gleichzeitig über den Screen sausen, den C64 an die Grenze des Machbaren bringt.

Anders als bei Spielen wie Katakis und R-Type, bei denen durch Halten des Feuerknopfs der Beam aufgeladen werden kann, wird hier Dauerfeuer aktiviert, solange die Taste gedrückt bleibt – vorausgesetzt, diese Funktion wurde im Menü aktiviert. So erspart man sich hektische Fingergymnastik. Längere Feuerpausen gibt es nicht, da eine Angriffswelle auf die nächste folgt und auch die Kapseln, die die Waffen- und Raumschiff-Upgrades beinhalten, abgeschossen werden müssen, um an den begehrten Inhalt zu kommen.

Die Upgrades umfassen einen zeitlich begrenzt wirksamen Schutzschild, der das Spiel bedeutend einfacher macht, sowie stärkere Waffen. Insgesamt gibt es vier verschiedene Waffensysteme, die noch ausgebaut werden können. Hat man eine der Situation gut angepasste Waffe, ist es ratsam, keine weiteren Upgrades einzusammeln, da etwa breit streuende Kanonen sinnvoller sind, wenn Angriffswellen gleichzeitig von oben und unten erfolgen, als der kraftvolle Laser, der aber nur zerstört, was sich direkt vor unserem Schiff befindet. Verliert man ein Leben, gehen nicht – wie bei viele Shootern – sämtliche Upgrades verloren, sondern nur das zuletzt eingesammelte. Alle 50.000 Punkte gibt es, wie bei Zeta Wing, ein Extraleben.

Ferner gibt es Smartbombs, die sämtliche Gegner auf dem Bildschirm zerstören, sowie kurze, entspannende Phasen der Unverwundbarkeit. Neben den genannten Features hebt sich Soul Force, in unserem Universum übrigens der Name einer US-amerikanischen Antidiskriminierungs-Organisation, durch vier wählbare Schwierigkeitsgrade ab.

Die Steuerung fühlt sich gut an, das Raumschiff lässt sich exakt um Hindernisse, gegnerische Projektile und Schiffe manövrieren. Manchmal ist das Geschehen allerdings so hektisch, dass es kaum möglich scheint, ohne Schutzschild aus einer brenzligen Situation zu entkommen. Besonders wenn Gegner aus kurzer Distanz feuern, ist es kaum noch möglich, einen Treffer zu vermeiden.

Die Musik passt gut zum Spiel, die Melodien unterstreichen die Dramatik der nahezu endlosen Weltraumschlacht. Technisch wird dabei nichts Sensationelles geboten, dafür bietet der umfangreiche Soundtrack viel Abwechslung. Die Soundeffekte sind ebenfalls gelungen, sie beschränken sich auf die üblichen Schussgeräusche. Im Hauptmenü gibt es übrigens die Möglichkeit, den gesamten Soundtrack zu hören.

Soul Force ist ein weiteres Beispiel für Spiele von sehr hoher Qualität, die in jüngerer Vergangenheit für den C64 produziert werden. Gute Shooter gibt es viele für den C64, doch keiner bietet einen so großen Umfang und so viel Abwechslung. Dank der vier wählbaren Schwierigkeitsstufen haben nicht nur Hardcore-Spieler die Chance, das Ende zu erreichen. Soul Force hat Arcade-Qualitäten wie wenige andere C64-Actionspiele und wird allen, die dieses Genre mögen, beste Unterhaltung bieten.

Soul Force kaufen

Soul Force ist bei Protovision für 45 Euro zu haben (siehe unten). Dafür gibt es das Modul in einer Kartonbox in der gewohnten Qualität, eine gedruckte Anleitung, ein 3D-Raumschiff zum Zusammenbauen (kein Werkzeug nötig, eins von sechs Designs) und einen Aufkleber. Gegen Aufpreis gibt es außerdem eine Soundtrack-CD (Spielzeit über 50 Minuten!) und weitere 3D-Raumschiffe (für alle, die das Raumschiff in der Box intakt lassen wollen, aber trotzdem damit spielen möchten…). Die digitale Version ist immer enthalten. Das Spiel gibt es übrigens weder auf Diskette noch als D64-Image. Es funktioniert auf PAL- und NTSC-Systemen.

Links:

Zeta Wing kaufen (3,99 USD)

Soul Force kaufen: digitaler Download (12,99 Euro);

Cartridge (boxed) ab 45 Euro (Extras gegen Aufpreis verfügbar) – wieder bestellbar ab dem 1. Juni 2021.

Blog von Sarah Jane Avory