Die Serie Retro Treasures beschäftigt sich mit seltenen oder ausgefallen Produkten der Video- und Computerspielgeschichte.
von Simon Quernhorst
Das CD32 war im September 1993 ein weiterer glückloser Versuch Commodores in den Spielkonsolenmarkt einzusteigen. Nach den vergeblichen Versuchen C64GS (im Jahr 1990) und CDTV (1991) basierte die neue Konsole diesmal auf der Hardware des Amiga 1200. Bei der Benutzerfreundlichkeit des Geräts hätte Commodore sich gerne von den führenden Konkurrenten inspirieren lassen dürfen: Die Einschalttaste liegt sehr ungünstig auf der Rückseite des Geräts und die beiden seitlichen Joypadports sind ebenfalls unpraktisch positioniert. Die Befestigung des CD-Deckels ist außerdem so filigran, dass sie bei vielen Konsolen schnell gebrochen ist und der Deckel oft mit einem Gewicht beschwert werden musste, damit die Spiele liefen.
Neben vielen tolle Adaptionen bekannter Amiga-Spiele, z. B. The Chaos Engine, Lotus Trilogy, Pinball Illusions, Project X, Myth und Cannon Fodder erschienen leider auch viele mäßige bis schlechte Spiele. Als Beispiel sei direkt das Spiel Oscar erwähnt, welches gemeinsam mit Diggers der Konsole beilag. Denn obwohl das CD32-Joypad sehr viele Knöpfe bot, musste zum Springen das Steuerkreuz nach oben gedrückt werden und die meisten Buttons blieben einfach unbenutzt. Vermutlich war die Strategie, dass in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Spiele erscheinen sollten, um überhaupt neben den Konsolenplatzhirschen SEGA und Nintendo wahrgenommen zu werden. Da blieb für Programmanpassungen der Steuerung an das CD32-Pad offenbar keine Zeit.
Erst nach Commodores Insolvenz und dem Verkaufsende des CD32 erschien 1996 mit Kang Fu eines der merkwürdigsten Spiele. Wohl kein anderes Spiel vermischt so viele verschiedene und bunte Grafiken zu einem wirklich üblen Plattformspiel – auch wenn der Name des Spiels eher an ein Kampfspiel denken lässt. Es scheint, als ob die Grafiken vollkommen zusammenhangslos erstellt und konvertiert worden sind. So finden sich z. B. realistische Wespen, Comic-Hühner, springende Bälle und fliegende Regenschirme vor digitalisierten Hintergründen. Auch die Ladebildschirme wechseln zwischen gezeichneten Grafiken, digitalisierten Fotos, gerenderten Logos und gemalten Aquarellen. Hersteller dieses bunten Grafik-Allerleis war die Firma „Great Effects Development“, die sich selbst passenderweise mit GREED abgekürzt hat. Das englische Wort Greed lässt sich mit Habgier oder Geldgier übersetzen und vermutlich war das auch die einzige Motivation der Spieleentwicklung. Kang Fu blieb glücklicherweise das einzige Spiel dieses Teams aus dem niederländischen Enschede.
Aber es wird noch kurioser. Denn eigentlich sollte eine Konsole ein unkompliziertes und problemloses Spielevergnügen bieten: Spiel einlegen, Konsole einschalten, los geht’s. Nicht so bei Kang Fu. Wenn man das Spiel einlegt und dann die Konsole einschaltet, scheint das Spiel zunächst normal zu starten. Es werden minutenlang mehrere Titelbilder, Intros und das Hauptmenü präsentiert, doch plötzlich erscheint ein weiteres Bild mit der Fehlermeldung „OUT OF MEMORY“. Immerhin war noch genug Speicherplatz für eine Bewegung des Schriftzugs vorhanden. Ein Druck auf die Reset-Taste der Konsole startet einen neuen Ladeversuch, doch nach weiteren Minuten gelangt man wieder zur identischen Fehlermeldung. Wenn man vorher im Intro des scrollenden Kängurus mit dem springenden Ball genau hinschaut, sieht man jetzt bereits Speicherprobleme, da der Bildschirm einige Grafikfehler anzeigt und das drehende Logo des Spiels fehlt.
Fehlerursache ist dabei die Programmierung der CD32-Bootsequenz. Erst nach Ablauf der Konsolenanimation samt der Musik wird offenbar der gesamte Speicher der Konsole wieder freigegeben und kann erst dann durch das eingelegte Spiel genutzt werden. Wenn man also zunächst die Konsole einschaltet, die Konsolenanimation durchlaufen lässt, bis die Musik verstummt und erst danach die CD mit Kang Fu einlegt, so startet das Spiel ohne Probleme.
Ein Blick in die Originalanleitung der CD-Verpackung von Kang Fu erwähnt dieses Problem sogar ausführlich: von den nur drei Textseiten des englisch/deutschen Booklets befasst sich eine komplette Seite mit den Speicherproblemen bei Amiga-Computern und ein weiterer Absatz mit der Reihenfolge zum erfolgreichen Start des Spiels auf einem CD32.
Aber wer liest schon die Ladeanweisungen eines Konsolenspiels? Auch die Redakteure des britischen Magazins „CU AMIGA Magazine“ haben dies offensichtlich nicht getan, denn der halbseitige Artikel auf Seite 32 der Ausgabe Dezember 1996 enthält den Hinweis, dass Kang Fu leider nicht CD32-kompatibel wäre. Trotz Kritik an der Grafik (Zitat: „Kang Fu is a complete mess“) mit kopfschmerzverursachenden Farben und Scrolling, wird das Spiel noch mit 60% bewertet und sogar dessen postalische Bezugsadresse im niederländischen Ort Almelo genannt. Die deutsche Zeitschrift „Amiga Games“ konnte das Spiel immerhin starten, lässt aber auf Seite 50 der Ausgabe 1/1997 trotzdem kein gutes Känguruhaar an Kang Fu: Steuerung, Grafikfehler, „haarsträubende Kollisionsabfrage“ und „spieltechnische Mängel“ führen zur Gesamtwertung von nur 48%.
Das Speicherproblem trat übrigens auch bereits bei einigen vorherigen CD32-Spielen auf, so z. B. bei „F17 Challenge“ von Team 17. Statt einer Fehlermeldung stürzt dieses Spiel sogar einfach ab. Insofern kann man beim CD32 generell empfehlen, zunächst die Musik und Bootanimation der Konsole konsequent durchlaufen zu lassen, bevor man ein Spiel einlegt und das CD-Fach für den Ladevorgang schließt.