Sam’s Journey: Ein C64-Glücksmoment

Der C64 wurde in seinen besten Tagen mit so vielen Veröffentlichungen bedacht, dass selbst mit sehr viel Freizeit ausgestattete Spieler kaum den Überblick bewahren konnten. Die Qualität der Spiele variierte, so wie auf jeder anderen Plattform. Es steht aber außer Frage, dass eine große Zahl wirklicher Spieleklassiker exklusiv oder zuerst für den Brotkasten entwickelt wurde. Seinem Ruf als Spielecomputer wurde der C64 in all den Jahren seiner kommerziellen Existenz gerecht. Doch auch nach dem Ende der Unterstützung namhafter Softwarefirmen erblickten immer wieder Spiele das Licht der Welt, die die Userbasis in Erstaunen versetzten.

Ultima VI war die letzte große US-Veröffentlichung, das bemerkenswerte und meisterhaft umgesetzte Spiel erschien 1990 auf stolzen sechs Disketten. 2001 erschien nach zehn Jahren Entwicklungszeit Newcomer, ein Rollenspiel auf nicht weniger als 14 Diskettenseiten. Actionlastiger war der Platformer Mayhem in Monsterland, 1993 in Großbritannien von John und Steve Rowlands unter dem Namen „Apex Computer Productions“ veröffentlicht, er war die Antwort der C64-Welt auf Super Mario Bros. und Sonic the Hedgehog. Das Spiel wurde begeistert aufgenommen und erhielt von der Presse Bewertungen von bis zu 100 %. Viele betrachteten es als die letzte herausragende Spieleveröffentlichung für den C64.

Die Produktion von Spielen für den C64 kam nie zum Erliegen. Zwar schwankt die Qualität der zahlreichen jährlich veröffentlichten Spiele beträchtlich, das war aber auch nicht anders, als der C64 die Spielewelt dominierte. Was lange Zeit fehlte, waren herausragende Titel, wie sie auch schon in den 80er-Jahren mit beträchtlichem Aufwand produziert worden waren. Mangels kommerzieller Perspektiven entstanden fast alle der besten Spiele der vergangenen Jahre als reine Hobbyprojekte, und selbst ein Spiel, das sich für C64-Verhältnisse gut verkauft, kann kaum einen Erlös erzielen, der die Entwicklungszeit und all die anderen damit verbundenen Aufgaben auch nur annähernd widerspiegelt.

Ein großer Wurf

Umso überraschender, dass kurz vor Ende des Jahres 2017 ein Spiel auf die C64-Welt losgelassen wurde, das nicht nur nach den wohlwollenden Maßstäben der Retro-Fans einen großen Wurf darstellt, sondern das in jeder Hinsicht überzeugen kann, wie es die besten Titel in der besten Zeit des C64 getan haben. Das war stets dann der Fall, wenn es wieder einmal gelungen ist, noch schönere Grafiken und Animationen, noch schnelleres Scrolling, noch mehr Sprites auf den Bildschirm zu zaubern, als man vorher für möglich gehalten hätte. Sam’s Journey schafft dieses Kunststück ungefähr ein Vierteljahrhundert, nachdem der letzte C64 die Produktionshalle verlassen hat.

Hinter dem Spiel stecken die wohlbekannten Knights of Bytes rund um Gründer Chester Kollschen, die andere bekannte Titel aus der jüngeren C64-Geschichte verwirklichten: Ice Guys (1997), Bomb Mania (1997) und den SuperCPU-Shooter Metal Dust (2005). An Sam’s Journey waren außer Stefan Gutsch (Grafik, Leveldesign) und Alex Ney (Soundtrack) viele weitere bekannte Namen aus der deutschen C64-Szene beteiligt, deren Zusammenarbeit wir eines der schönsten C64-Spiele aller Zeiten verdanken.

Sogar das „beste C64-Spiel aller Zeiten“ wurde Sam’s Journey genannt. Ob das stimmt, liegt natürlich im Auge des Betrachters, aber unter den Spielen, die für den Commodore 64 veröffentlicht wurden – häufig zitierte Schätzungen liegen zwischen 10.000 und 25.000 Titeln – thront es zweifellos ganz am Gipfel, wo die Luft dünn ist und nur wenige große Titel nebeneinander stehen können.

Action ohne Frust

Wie viele andere herausragende C64-Titel ist Sam’s Journey auch in technischer und kreativer Hinsicht eine große Leistung. Zwar kann man sich Grafik und Sound auch in einem Ende der 80er-Jahre erschienenen Spiel vorstellen, doch was Sam’s Journey von den vielen Weltklasse-Platformern abhebt, die es für den Commodore 64 gibt, ist die Implementierung von Gameplay-Elementen, die damals noch unbekannt oder zumindest unüblich waren. Dazu zählen Anleihen aus bekannten Konsolenspielen aus dem Hause Nintendo, durch die Sam’s Journey nie frustrierend oder unübersichtlich wird.

Am Beginn des Spiels findet sich Sam auf einer großen Insel – die Hintergrundgeschichte dazu wird im Spiel gezeigt. Eine hübsch gezeichnete Karte verschafft uns einen Überblick, sie liegt dem Spiel auch in gedruckter Form bei. Schnell wird deutlich, dass es sich um ein großes Spiel handelt, denn die Levels, die auf der Karte zu sehen sind, sind groß und zahlreich. Auf den Bildschirm passt nur ein Drittel der gesamten Karte, die drei Abschnitte zeigen die Lowlands, die Midlands und die Highlands. Insgesamt gibt es 30 Levels, und jedes davon ist ein kleines Universum für sich, mit wunderschön scrollenden Hintergründen und hervorragend animierten Gegnern.

Sam ist ein klassisches Jump ‚n‘ Run-Spiel, in dem man auf viele bekannte Elemente stößt: Sprungpassagen, Trampoline, bewegliche Plattformen, Schalter, Türen, Kanonen, Eulen und Wespen, Münzen und Edelsteine.

Der siebenfache Sam

Sam kann laufen, springen, Gegenstände aufnehmen, klettern, schwimmen und sich verwandeln, ohne je auf die Tastatur zurückgreifen zu müssen. Was bei vielen Konsolenspielen zu abenteuerlichen Fingerverrenkungen führen würde, wird in gewohnter C64-Manier am Joystick mit einem einzigen Feuerknopf ausgeführt.

Während sich Sam durch die Levels tastet, findet er immer wieder Kostüme in unterschiedlichen Farben. Diese Kostüme verleihen ihm besondere Fähigkeiten und Outfits. Ninja Sam kann Schächte und Wände hochklettern, Pirate Sam hat einen Säbel, mit dem er Feinde attackieren oder abwehren kann, Pitcher Sam kann Felsblöcke und Kisten weit und gezielt schleudern und außerdem auf Eis gehen, ohne zu rutschen. Disco Sam kann mit Hilfe seiner Hüftdrehung weiter und höher springen, Space Sam hat ein Jetpack, mit dem er Doppelsprünge ausführen kann. Zu guter Letzt gibt es noch Vampire Sam, der sich in eine Fledermaus verwandeln und kurze Strecken fliegen kann.

Ständige Neustarts nach dem Verlust der Leben bleiben dem Spieler erspart, da Sam nicht nur über Checkpoints verfügt, an denen das Spiel nach dem Verlust eines Lebens fortgesetzt werden kann, sondern auch die Möglichkeit bietet, Spielstände zu speichern. Die getestete Modul-Version ist so schnell, dass die Ladezeiten kaum auffallen.

Daneben gibt es übersichtliche Statistiken über noch einzusammelnde Gegenstände, einen abwechslungsreichen Soundtrack, großartig und anspruchsvoll gestaltete Levels, extraweiches Scrolling, geheime Passagen und unzählige andere Dinge, von denen man zwar viele schon irgendwann, irgendwo gesehen hat, aber nicht auf dem C64, zumindest nicht alle auf einmal! Ein besonderes Lob verdient die Idee, Sam mittels Verkleidungen neue Fähigkeiten zu spendieren. Das ist nicht nur ein origineller und für C64-Verhältnisse äußerst aufwendig umgesetzter Gag (immerhin gibt es insgesamt sieben Varianten von Sam), sondern verleiht dem Spiel genre-untypische taktische Variationen, da durch die unterschiedlichen Fähigkeiten oft mehrere Lösungsansätze möglich sind. Kollidiert ein verkleideter Sam mit einem Gegner, geht nur die Kostümierung (und somit die Spezialfähigkeit) verloren, das Leben bleibt jedoch erhalten.

Schatzkiste

Die professionell gestaltete Box enthält, je nachdem, für welche Version man sich entschieden hat, neben den beiden Disketten bzw. dem Modul eine gut gemachte englischsprachige Anleitung, Karten mit Sam in all seinen Inkarnationen, eine Überblicks-Weltkarte und eine Schatzkiste. Darin sind blaue „Edelsteine“ enthalten, wie sie auch im Spiel eingesammelt werden müssen.

Ende März 2018 waren bereits nicht weniger als 1250 Exemplare des Spiels verkauft. Für ein C64-Spiel ein atemberaubender Erfolg. Bleibt zu hoffen, dass weitere Spiele dieser Qualität folgen. Damit wir wieder träumen dürfen, welch ungeahntes Potenzial noch in unseren guten alten Commodore-Rechnern steckt.

Sam’s Journey ist das C64-Spiel, auf das ich ewig gewartet habe. Es nützt die technischen Möglichkeiten des 8-Bit-Computers auf erstaunliche Weise aus, beschränkt sich aber nie auf technische Prahlereien, sondern legt den Schwerpunkt auf gutes Gameplay und frustfreie Unterhaltung, ohne es dem Spieler zu leicht zu machen. Das macht das Spiel der Knights of Bytes zu einem Meilenstein in der langen Geschichte des C64. Hoffentlich nicht zum letzten. (Georg Fuchs)

Webseite der Knights of Bytes

Sam’s Journey kaufen

Die Diskettenfassung gibt es ab 45 Euro, das Modul ab 55 Euro, je nach Ausstattung. Gegen Aufpreis kann man Poster und Soundtrack-CD erwerben. Das Image für Emulatoren gibt es zu jeder erworbenen Version als Download. Von Sam’s Journey existiert auch eine spanische Version.